Veröffentlicht am 21.10.2007
Dill Post: Knappe Budgets machen es Ärzten schwer, Therapien zu verordnen
Für Logopädie reicht das Geld nicht19.10.2007
Eschenburg-Eibelshausen. (pms). Dass unter anderem Kinder die mutmaßlichen Fehler der Gesundheitsreform ausbaden müssen, vermutet die Eschenburger Allgemeinmedizinerin Christl Loew. Die knappen Heilmittelbudgets machen es immer schwieriger, Therapien zu verordnen, die Kindern zum Beispiel helfen, richtig sprechen zu lernen - eine Grundqualifikation, die ihnen hilft, sich im Leben zurecht zu finden.
Weil sie im Jahr 2005 Ergotherapie und Logopädie-Behandlungen für 44 ihrer Patienten, davon 33 Kinder, verschrieben und dadurch ihr Heilmittelbudget überschritten hatte, sollte die Eibelshäuser Allgemeinmedizinerin Christel Loew 26 000 Euro an die Krankenkassen zurückzahlen.
Erst nachdem sie jeden Fall einzeln medizinisch begründet hatte, sah der Prüfungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Hessen von seiner Regressforderung ab.
"Meine Angestellten haben drei Tage lang alle Akten zusammengetragen, und ich habe für die Begründungen noch einmal eine Woche gebraucht", so Loew.
Während die Ärzte für Medikamente im Quartal ein Arzneimittelbudget von 40 Euro pro Versichertem und 140 Euro pro Rentner zur Verfügung hätten, seien die Beträge im Heilmittelbudget für zum Beispiel Ergotherapie und Krankengymnastik deutlich geringer. So könnten für Versicherte und ihre Familienmitglieder im Vierteljahr 4,70 Euro ausgegeben werden, für Rentner seien es 13 Euro. "Wir betreiben schon lange keine Luxusmedizin mehr", kommentiert Loew diese Behandlungssätze. "Eine Stunde Ergotherapie kostet 30 Euro, wenn ein Kind zehn Mal im Quartal dahin geht, verbraucht es das Budget von 60 Patienten!" Üblich sei bei Ergotherapie zudem eine Therapiezeit von zwei Jahren. Krankengymnastik sei mit 13 Euro pro Stunde zwar billiger, liege aber immer noch über den Beträgen, die theoretisch pro Patient verwendet werden könnten.
Natürlich gebe es auch Patienten, für die weniger ausgegeben werde, allerdings hätte deren Zahl seit der Einführung der Praxisgebühr stark abgenommen. "Wer erkältet ist, geht heute gleich in die Apotheke", erklärt die Allgemeinmedizinerin dieses Phänomen. Zudem würden die Budgets kaum verändert, obwohl die Patienten immer älter würden. "Das ist, als würde man einem Feuerwehrmann sagen: Du hast so viel Wasser, wenn Du mehr brauchst, um den Brand zu löschen, musst du das selbst bezahlen!", beschreibt Loew ihre Situation.Schwarzen Peter abgeschoben "Die Krankenkassen versuchen, den Ärzten den schwarzen Peter zuzuschieben", so Loew. So würden die Kassen beispielsweise Rabattverträge mit Medikamentenherstellern abschließen. Der Arzt verschreibe dann nur noch den Wirkstoff und der Apotheker suche das Medikament aus. "Gerade ältere Patienten sind aber verwirrt, wenn sie nicht mehr wie gewohnt eine kleine weiße Pille, sondern eine große orangene schlucken sollen." Wenn sie dann bei der Krankenkasse nachfragten, bekämen sie mitgeteilt: Wir bezahlen alles, was die Kollegen verordnen. In Wirklichkeit aber müssten die Ärzte die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst tragen.
Durch all diese Missstände, würden heute viele vom Ergreifen des Arztberufes abgeschreckt. "Wenn jetzt nicht junge Leute motiviert werden, in die Allgemeinmedizin zu gehen, wird es in Deutschland insechs bis sieben Jahren einen Ärztenotstand geben", warnt die Ärztin vor den Konsequenzen einer in ihren Augen verfehlten Gesundheitspolitik.
"Es ist keinem Arzt angedroht worden, dass er 26 000 Euro zurückzahlen muss", kommentierte Klaus-Michael Datum, der Geschäftsstellenleiter des Prüfungsausschusses der Ärzte und Krankenkassen, den beschriebenen Fall. Der Gesetzgeber habe bestimmte Richtgrößenwerte festgelegt und an diese hätten sich die Ärzte zu halten. Erst bei Überschreitungen von mehr als 25 Prozent werde der Prüfungsausschuss tätig. Die Ärzte könnten dann erklären, wie es dazu gekommen sei. Ausnahmegründe seien zum Beispiel Praxisbesonderheiten wie eine besonders hohe Anzahl von Kindern oder chronisch Kranken. In den meisten Fällen komme es deshalb gar nicht zu Rückzahlungen. "Mittlerweile haben sich etwa 80 Prozent aller Fälle erledigt", so Datum. Ob die Regressforderungen dennoch dazu führen werden, dass Ärzte in Zukunft wenigerTherapien verschreiben, um ihr Budget zu schonen, ist noch nicht absehbar.
"Es lässt sich noch keine Tendenz feststellen", sagt dazu Beate Reh, Ergotherapeutin in Eschenburg. "Bisher sind nur in Einzelfällen weitere Termine abgesagt worden. Wir rechnen aber damit, dass dadurch weniger Patienten zu uns kommen werden." Bedauerlich sei das bei denjenigen, für die sich ohnehin schon niemand einsetze. "Mütter legen sich schon mal mit ihrer Krankenkasse an, damit ihre Kinder die notwendigen Behandlungen auch bezahlt bekommen. Aber Senioren haben oft niemanden, der für sie kämpft", so Reh.